Konzert: Heimspiel Knyphausen
Ort: Eltville
Datum: 25.07-27.07.2025
Dauer: 3 Tage
Zuschauer: ausverkauft
Giesbert lädt ein – und wieder füllt sich der Draiser Hof mit Klang, Kunst und ganz viel Seele. Vom 25. bis 27. Juli 2025 verwandelte sich das Weingut Baron Knyphausen wieder in einen der stimmungsvollsten Orte für Musikliebhaber:innen zwischen Reben, Rhythmus und Riesling.
Rund 2.500 Gäste fanden sich ein – das Festival war restlos ausverkauft. Heimspiel eben, auch wenn angesichts der eher düsteren Wetterprognosen zuletzt sogar noch Camperticktest von privat zu privat zu bekommen waren.
Die FAZ nannte es treffend „ein besonderes Fest“ – ein Festival, das sich bewusst klein hält, ohne dabei an Relevanz zu verlieren. Ganz im Gegenteil. Statt Massenspektakel: echte Gläser, Kindertribüne, Picknickdecken und na klar Gummistiefel.
Und ein Line‑Up, das nicht auf Retro-Nostalgie, sondern auf aktuelle Klangmomente setzt. Kuratiert mit Herz und Haltung – von Gisbert zu Knyphausen und Benjamin Metz. Schon am Donnerstag: Anreise, Aufbau, Wiedersehen. Obstwiese für Familien, Sportplatz, Pensionen oder Hotel für alle anderen. Die Stimmung war sofort da. Der Bühnengraben diesmal passend von Johannes und seinem Team platziert und auch und Doro als Stage Managerin war wieder an Bord. Mehr Überblick, mehr Ruhe – vor wie hinter der Bühne.
Und wie immer: ein Festival, das wächst, ohne sich zu verbiegen. Noch bevor der erste Ton erklang, klapperte es: Andi Substanz aus Münster – Poetry Slammer, Lyriker und Maschinenpoet – war an allen drei Tagen präsent. Zwischen Open Doors und dem ersten Gig setzte er sich mit seiner Reiseschreibmaschine unter Bäume und zwischen Bänke, nahm Stichworte entgegen und tippte Gedichte. Direkt, persönlich, liebevoll. Eine neue (?) Festivaltradition zum Mitnehmen. Und ein Beweis dafür, dass beim Heimspiel nicht nur Musik, sondern auch Poesie in der Luft liegt.
Der Freitag begann mit einer leisen Wucht: Edna Million eröffnete das Festival – und war meine ganz persönliche Überraschung. Eine Performance, so reduziert wie eindringlich. Eine Stimme, die nicht gefallen will, sondern erzählt. Und das mit einer Tiefe, die bleibt. Danach: Tonbruket. Die schwedische Band mit Jazzwurzeln und Postrock-Vision schuf einen Raum, in dem sich Genres auflösten und das Publikum einfach hineinfiel. Ihr Auftritt war dabei nicht zufällig – Gisbert selbst hatte sich Tonbruket explizit gewünscht, ein Herzensact. Und dieser Wunsch zahlte sich aus: Das Zusammenspiel von atmosphärischer Klangarchitektur, instrumentalem Erzählen und musikalischer Weite war pure Festivalmagie.
Zum Abschluss des ersten Abends dann Warhaus. Die Band beendete den Tag mit melancholischer Grandezza – belgischer Nachdenklichkeit, cineastischem Sound und einem Auftritt wie ein gutes Buch: dunkel, dicht, nachwirkend. Warhaus wurde 2016 als Solo-Musikprojekt von Maarten Devoldere, Frontmann der belgischen Band Balthazar, ins Leben gerufen. Teile der Songs wurden damals sogar mit der Stammband eingespielt. Schon das Debütalbum „We Fucked a Flame into Being“ (2016) war eine künstlerische Wucht – dunkel, elegant, intellektuell aufgeladen. 2024 folgte die vierte Platte: „Karaoke Moon“. Der Titel ist nicht nur Zitat, sondern Konzept – denn Karaokeeinlagen mit dem Publikum gehören seitdem gern ins Live-Set.
Auch beim Heimspiel wurde das Mikro im besten Sinne geteilt. Der Samstag begann auf dem Rhein: Heimspiel-Liner mit Hannes Wittmer. Zwei Konzerte, zwei Fahrten, viele Gänsehautmomente – zwischen Wasser, Wind und Weinglas. Wittmer, vielen noch bekannt als Spaceman Spiff, begleitet die Morgenfahrt nicht nur musikalisch, sondern auch thematisch mit Tiefe: Seine Songs setzen gesellschaftskritische Akzente, erzählen aber zugleich mit großer Offenheit von psychischen Erkrankungen wie Depressionen.
Damit richtet sich sein Blick nicht nur auf das Schöne, sondern auch auf die dunkleren Seiten des Lebens – achtsam, poetisch, klar. Ein Einstieg ins Festival, der unter die Haut ging. Zurück am Hof eröffnete Philippa Kinsky – klar, eigen, aufrichtig.
Danach: Samuel Nicholson, gewohnt intensive und für alle ein herausragender Act. Und dann kam die zweite große Überraschung: Nils Keppel. Ursprünglich sprang er für die sehnsüchtig erwarteten Personal Trainer ein – die Indie-Helden aus Amsterdam, bekannt für überbordende Liveshows, orchestrale Setups und viel Krach mit Köpfchen. Doch was als Lückenfüller begann, wurde zum Volltreffer.
Nils überzeugte mit Charisma, klarer Sprache und musikalischer Wucht auf ganzer Breite. Später am Abend: Isolation Berlin – zum ersten Mal live beim Heimspiel, nach ihrem legendären, kontaktlosen Auftritt bei „Heimspiel Daheim“ während der Pandemie, damals gefilmt von Drohnen, moderiert von Christiane Falk (radioeins).
Jetzt standen sie endlich vor echtem Publikum – roh, ehrlich, laut. Und den Abschluss des Tages setzte Noga Erez. Headliner, Haltungsträgerin, Ausnahmekünstlerin. Geboren in Israel, nicht im Einklang mit der Politik ihres Landes, dennoch immer wieder auch Zielscheibe von Anfeindungen. Ihre Performance: kompromisslos, klug, kraftvoll. Und ein starkes Zeichen in einem Musikbusiness, das Frauen nach wie vor strukturell benachteiligt.
Nicht so beim Heimspiel – hier ist Diversität Programm. Auch kulinarisch wurde am Samstag einiges geboten: Im Weinlager der Vinothek fand die exklusive Käse-Wein-Probe statt – mit Klassikern wie Stilton, Comté und Löffelgorgonzola, begleitet von gereiften Tropfen bis zur Trockenbeerenauslese von 2010. In der Vinothek selbst dann die süße Variante: Wein x Macarons – sechs Sorten, von Crème Brûlée bis Pistazie, abgestimmt auf Riesling, Spätburgunder und sogar einen Carménère aus Chile.
Eine Überraschung für Zunge und Kopf, mit viel Wissen & Charme serviert. Der Sonntag begann erneut poetisch mit Andi Substanz, bevor Karl die Große sich mit Bläsern, Tiefe und einem riesigen, charmanten Augenzwinkern direkt ins Herz des Publikums spielten.
Chartreuse, bereits im Vorjahr beim Kaltern Pop Festival gesehen (und sofort verliebt), zeigten sich erneut sensibel, klangvoll, nah – bald zudem auch wieder beim Haldern Pop zu hören.
Zum Abschluss dann International Music: Stilbrüche, Stiltreue, Spiel mit der Erwartung. Zwischen Krautrock, NDW und Indie fand sich die Musik selbst neu – und wir mittendrin. Und wer zwischen all dem lieber zum Pinsel als zum Picknickkorb griff, konnte bei der sonntäglichen Sektverkostung mit Aquarellmalerei unter dem Motto „Genießen und Malen“ zur Ruhe kommen.
Ein stilles Highlight am Rande – prickelnd und pigmentiert zugleich.
Heimspiel Knyphausen 2025 war wieder ein Fest der leisen Stärke. Musikalisch wie kulinarisch, organisiert mit Herz, Haltung und einem Blick fürs Detail. Kein Festival für Masse – aber ganz sicher eines für Menschen, die Musik erleben und Gemeinschaft spüren wollen.
Ganz im Zeichen dafür, dass dieses Liebhaberfestival reift – wie guter Wein. Vom 31. Juli bis 2. August 2026 ruft der Draiser Hof wieder. Zwischen Musik, Worten, Aromen und Menschen. Der Sommer wird wieder nach Heimspiel schmecken.
Bericht und Fotos: Denis Schinner]